Sep 212012
 
Dirigiert das Gehirn. Spitzer. Foto: Hufner

Dirigiert das Gehirn. Spitzer. Foto: Hufner

Nachdem gestern dem Hirnforscher Manfred Spitzer die Leo-Kestenberg-Medaille des Verbandes Deutscher Schulmusiker verliehen wurde, hatte er heute die Möglichkeit, in einem Vortrag über die Frage „Warum Musikunterricht?“ zu sinnieren. Er tat dies im restlos gefüllten Palais der Hochschule für Musik. Die Zuhörerinnen und Zuhörer begaben sich dabei auf eine Rallye durch Hirn un Körper. Imn Zerntrum Fragen der Selbstkontrolle und Willenskraft. Spitzer konnte doch mit einigen überraschenden Erkenntnissen aufwarten. Hatte man sich lange Zeit auf Studien zum sogenannten Mozarteffekt kapriziert, ging er heute die Sache von einer anderen Seite an.

Im Zentrum das Marshmallow-Experiment. Dabei wurden Kindern ein Marshmallow angeboten, den sie nicht essen sollten, wollten sie, nachdem der Versuchsleiter gegangen und irgendwann wiederkommen würde, durch einen zweiten belohnt werden.

Kinder, die in diesem Versuch lange durchgehalten haben, zeigten damit mehr Willenskraft. In einer Langzeitstudie wurden die Lebensläufe der Kinder bis ins Alter verfolgt. Im Experiment erfolgreichere Versuchspersonen, waren auch später offenbar signifikant „erfolgreicher“ – und zwar in jeder Hinsicht. Ein Plädoyer übrigens auch für die Durchführung von Langzeitstudien.

Was hat das mit dem Musikunterricht zu tun. Im Prinzip lässt sich die Botschaft Spitzers so zusammenfassen: Willenkraft und Selbstkontrolle seien die Voraussetzung auch für den Erfolg kultureller Bildung an sich. Die wichtigsten Schulfächer seien darum, Musik, Sport, Theater und Kunst. Sie, stärker als andere Fächer, fördern diese Qualifikationen. Der gute Trick in der Argumentation ist dabei, dass auf diese Weise die Rede von den Sekundärtugenden, die diese Fächer förderten, obsolet wird. Sie werden zu Primärtugenden auf die es ankommt.

Wie man sein Gehirn übt? Mit einem Lied. Eine Demonstration Spitzers:

Play

Hinzu treten sicher auch andere Fähigkeiten und Verhaltensformen, wie Vertrauen und Verlässlichkeit, die unabdingbar den Prozess begleiten müssen. An die Musiklehrer richtete er das Wort: „Theorie bringt nichts ohne Praxis.“

Die Zuhörerschaft zollte dem Redner viel und ausgiebig Beifall. In der Fragerunde wurde vielfach gefragt, dass man beispielsweise vor allem mit Jungen, in der Pubertät und mit sogenannten Hochbegabungen die größten Probleme habe. Auf alle die Fragen wusste Spitzer eine Replik. Natürlich macht das Gehirn in jeder Zeit des Lebens einige Veränderungsprozesse durch, natürlich verändere sich die Sicht der Welt permanent. Aber man könne das in den Griff bekommen. Etwa lax formuliert: Zur Not mit Trommeln.

Nicht zur Sprache kam die Richtung der Willensbildung, der Kontrolle des Selbst. Vom Wiener Schriftsteller Konrad Bayer gibt es einen kleinen Vers, der das illustriert.
„Der Wille ist ein eitler Wahn und richtet argen Schaden an.“ Was nützt Selbstkontrolle und Willenskraft, wenn sie sich die falschen Ziele setzt. Keine Frage, Musikunterricht ist das richtige Ziel. Aber wird er immer so geführt, dass die Ziele auch so gestaltet sind, dass sie für die entsprechenden Schüler zu leisten sind. Man hat es ja vielfach mit heterogenen Gruppen zu tun und je älter sie werden, mit immer mehr Individuen. Mit je eigenem Willen. Da wird es mit dem Gruppenwillen schwierig.

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