haack

Sep 232012
 

Wie man Geister fängt beschreibt Josef Guggenmoos in seinem Gedicht über den Herrn Neppich. Foto: Haack

„Guten Tag“: Spätestens nach zehn Minuten sind alle Workshop-Teilnehmer, die es am Sonntag Morgen so früh geschafft haben, mit dem „Guten Tag-Rap“ von Christiane Jaspers wach geworden. Dahinter verbirgt sich der Einstieg in eine Lernform, die im Musikunterricht sprachfördernd wirken will. Nicht unbedingt nur bei Schülern, die in diesem Bereich besondere Schwächen haben, sondern auch im ganz „normalen“ Unterricht – oder auch im vorschulischen EMP-Bereich. Sprachsensibilisierung durch Musik lautet das Stichwort – und die Teilnehmer erfahren im Schnelldurchgang, wie mit Hilfe von Rhythmus, Betonung und Artikulation, Bodypercussion, Bewegung, kommunikativen Elementen und anderen Instrumenten die Sprachfähigkeit der Kinder gestärkt werden kann. Das alles spielerisch unter Einbeziehung der Kreativität der Kinder.
Mit „knorrigen Klängen und schaurigen Schatten“ führt uns Christiane Jaspers schließlich in die Welt der Gespenster, die sich besonders gut für den Ausbau der Sprachfähigkeit eignet: Weil siespannend ist, weil sie auch Jungen anspricht – und natürlich, weil siezahlreiche Möglichkeiten der Klangerzeugung bietet, die das Stimmrepertoire erweitern. Schließlich landen wir im Gespensterschloss, wo Herr Neppich mit seinem Teppich versucht, die leidigen Gespenster zu fangen. Das geht für ihn allerdings böse aus…

Christiane Jaspers beim Warming Up. Foto: Haack

Der Workshop kann nicht mehr sein als ein Einstieg ins Thema. Wie in diesen letzten Kongresstagen vielfach erlebt, allerdings kein trockener Theorie-Einstieg, sondern einer durchs eigene Tun. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer recken sich und strecken sich, sie tanzen, heulen und geistern herum, was das Zeug hält. Natürlich gibt es für diese Methodik auch einen theoretischen Hintergrund. Das Skript (mit Literaturangaben) hilft da weiter. Das frühe Aufstehen auch am letzten Kongresstag hat sich jedenfalls gelohnt.

Die Workshop-Teilnehmer-/innen beim Geistertanz. Foto: Haack

Sep 222012
 

Nach der theoretischen Diskussion am Morgen präsentiert Eckart Vogel nun die Basis des Klassenmusizierens: mit Kindern, die in der Regel überhaupt kein Instrument spielen können. „Musizieren statt Reden über Musik“, heißt das Motto. Das Gros des Instrumentariums sind Orff-Instrumente, aber: „Ich benutze nie nur Orff-Instrumente“, erklärt Vogel. Die Kinder wollen auch an die Gitarre, ans Keyboard, ans Schlagzeug. Wichtig ist im Klassenverbund die Binnendifferenzierung: Auch in der großen Gruppe kann man durchaus dem begabten Schüler ebenso gerecht werden wie dem, der Schwierigkeiten mit den Basics hat. Auch dieser findet einen Platz im Klassenensemble.

Die Workshop-Teilnehmer üben konzentriert die Stundenstücke – mit Orff-Instrumenten, Keyboard, Gitarre, E-Gitarre und Schlagzeug. Foto: Haack

Die Workshop-Teilnehmer üben – wie beim „echten“ Klassenmusizieren – zunächst Stücke für die Stunde, dann auch (schwierigere) fürs Vorspiel. Schon das leichteste Stück führt zu Erfolgserlebnissen – selbst bei den Profis. Von der Improvisation geht es über den Swing zum Rock. Es wird komplizierter – aber es ist immer einfacher, als es klingt. Das ist sicher eines der Erfolgsgeheimnisse von Vogels Stücken.

Die Vorspiel-Stücke schließlich grooven so richtig. Ich habe bisher keinen Workshop erlebt, in dem die Teilnehmer so viel Spaß hatten. „Es soll keiner auf die Idee kommen: ‚Das sind ja nur Orff-Instrumente.’ Nein, das ist richtig scharfe Musik“, erklärt der Dozent. Finde ich auch. Am Schluss wage ich mich selbst ans Glockenspiel. Ich bin nicht die einzige, die am Anfang falsche Töne spielt – aber „scharf“ klingt es eben doch.

„Vom StundenStück zum VorspielStück“ lautet der Titel des Workshops. Hier sind die Teilnehmer bei den Vorspielstücken angelangt: Swing und Rockmusik mit einfachen Mitteln. Foto: Haack

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Sep 222012
 

Marton Illés’, „Manische Linien“, Wolfgang Rihms „Chiffren“: Silke Egeler-Wittmann stellt eine Unterrichtseinheit („Abenteuer Neue Musik“) vor, in der sie, teils gemeinsam mit den Komponisten, Schüler an Werke der Neuen Musik herangeführt hat. Nicht theoretisch, sondern durch das eigene musikalische Tun. Schüler komponieren selbst ihre „Linien“ und „Chiffren“ und musizieren diese im Anschluss. Auf diese Weise nähern sie sich kontinuierlich den Werken der etablierten Komponisten an – ohne es wirklich zu merken. Beeindruckend, wie es möglich ist, nach und nach Verständnis bei den jungen Schülern für alles „Schräge“, „Schrille“, eben das Unverständliche zu wecken. In Weimar wiederum komponieren und spielen die Workshop-Teilnehmer ihre eigenen Linien im Ensemble.

Die Workshop-Teilnehmer kreieren eigene „Linien“, die später in Musik umgesetzt werden. Foto: Haack

Am Ende ihres Schulprojektes, so erzählt Silke Egeler-Wittmann, war Wolfgang Rihm umringt von 14-Jährigen, die ein Autogramm von ihm wollten. Was könnte besser beweisen, dass diese Schülerinnen und Schüler die „Neue Musik“ irgendwie in ihre Lebenswirklichkeit aufgenommen haben?
Eine umfangreiche Dokumentation mit Materialien findet sich in ca. 2 Wochen im Netz unter www.abenteuer-neue-musik.de.

Workshop-Teilnehmer interpretieren „ihre“ Linien mit der Blockflöte. Foto: Haack

Silke Egeler-Wittmann: Mit der Blockflöte werden erste Zugänge zu „neuen Tönen“ vermittelt. Foto: Haack

Sep 222012
 

„Drei Blockflöten, Cello und E-Bass: Die Besetzung gibt es doch gar nicht“, würde manch Hochschullehrer sagen. Irrtum: Die Schulmusiker, vor allem diejenigen, die sich mit dem Thema Klassenmusizieren beschäftigen, wissen es besser.

Gespräch zum Thema Klassenmusizieren. Foto: Hufner

Podiumsdiskussion zum Thema im Kleinen Saal der Weimarhalle: Das Klassenmusizieren ist (wieder) salonfähig, sagt Ortwin Nimczik. Aber offenbar verschlafen die Hochschulen nach wie vor vieles, was zu tun wäre. Müssen die Musikschulen hier einspringen – und neben Instrumental-, Ensembleunterricht, ggf. SVA etc. auch schon das Fach Musikpädagogik in den Strukturplan aufnehmen, um die Studierenden entsprechend für die Aufnahmeprüfung vorzubereiten? Das wäre durchaus zu überlegen, findet Winfried Richter (Vorsitzender des VdM).
Aber sollen Musikschulen wirklich eine Aufgabe übernehmen, die eigentlich Job der Ausbildungsinstitute wäre?

Jürgen Terhag: Künstlerischer Anspruch zählt gerade auch in der Arbeit mit Anfängern. Foto: Hufner

Klassenmusizieren bedeutet: „Elementarisierung“. Ist gleich: Beethovens Neunte auf dem Glockenspiel – mit 35 Schülern? So ähnlich jedenfalls…

Aber, so das Grundstatement Jürgen Terhags: Je mehr wir uns als Pädagogen im Laien- und Anfängerbereicht bewegen, desto höher wird der künstlerische Anspruch an unsere Arbeit. Ein Super-Chor klingt auch gut, wenn der Dirigent nichts taugt, aber die Gesangsklasse in der Grundschule? Terhag bringt die „Instanz des imaginären Publikums“ ins Spiel: Alles, was – auch im Klassenmusizieren – produziert wird, sollte diesem Publikum gefallen. So, wie Ina Schuchardt-Groth eingangs erklärt hat: Klassenmusizieren ist (auch) wichtig, damit die Eltern nach dem Schulkonzert nicht nach Hause gehen und sagen: „Gott sei dank, es ist vorbei.“
Einwand aus dem Publikum: „Muss denn alles ergebnisorientiert sein, geht es nicht auch um den Prozess?“ Die Frage bleibt offen, wie andere, die hier höchst engagiert und kompetent diskutiert werden.

Beeindruckend die junge Schulmusikstudentin Hanna Frei, kurz vor dem Examen, die noch Antworten auf Fragen sucht, die zurückschreckt vor einem Elementarisieren, das dem authentischen Werk nicht gerecht wird, die sich fragt: Was bringen wir den Schülern bei, damit sie fürs Leben lernen? Ihr Schlusswort ist ein Plädoyer: Dass die Studierenden künftig angehalten und verpflichtet werden, sich während ihres Studiums mit all diesen Fragen auseinanderzusetzen. Aber das passiert nicht.

Die Frage bleibt: Warum nicht? Daran ist zu arbeiten, darin sind sich die Diskutanten einig. Kompetenz und Engagement auf dem Podium wie im Publikum jedenfalls lassen hoffen.

 

Sep 212012
 

Untersuchung des „Containerlieds“ der Toten Hosen. Foto: Haack

Die Toten Hosen haben das „Containerlied“ im Repertoire, das vom Erfrierungstod eines Penners erzählt. Von Metallica stammt das Lied „One“, in dem ein aus dem Krieg heimgekehrter Soldat, der von einer Landmine verletzt wurde und dabei Augenlicht, Hörsinn, Arme, Beine und damit auch seine Seele verliert, nur noch bittet: „Cut this life off from me!“ Und der österreichische Rockstar Falco hat – so kann man es zumindest interpretieren – seine Todessehnsüchte in „Out of the Dark“ verarbeitet, dem mega-erfolgreichen Song, der erst nach dem Tod des Sängers erschien. Kann man solche Musik mit solchen Stoffen in der 8. oder 9. Klasse bearbeiten? Ja, sagen Ursel Lindner und Markus Böhm und führen verschiedene Herangehensweisen vor – über das Selber-Musikmachen, über eine musikalische Analyse, über den Videoclip oder Textarbeit.
Das ist spannend. Dass aus dem Publikum dennoch die Frage kommt: „Wie können Sie so was machen?“, erstaunt. Als ob die Schüler nicht sowieso ständig mit dieser Art von Musik ebenso konfrontiert wären wie mit Schreckensmeldungen über Krieg, Verwundung, Tod, Armut etc. in aller Welt. Es geht eher darum, die oberflächliche, gar gleichgültige Umgangsweise damit durch eine Sensibilisierung zu ersetzen. „Wie entlassen Sie die Schüler am Ende der Stunde? Wie stimmen Sie sie wieder fröhlich?“ lautet eine andere Frage. „Gar nicht“, heißt die Antwort. Eine Betroffenheit darf auch mal aus dem Unterricht mit hinausgenommen werden.

Markus Böhm: „Metallica“ im Musikunterricht. Foto: Haack

Ich erinnere mich: In meinem Musikunterricht wurden einmal die „Bilder einer Ausstellung“ im Original der Version von Emerson, Lake & Palmer gegenüber gestellt. Mit einer gerümpften Nase der Musiklehrerin bei der Cover-Version. Damit hatte sie ihre Schuldigkeit getan, weitere Ausflüge in die Popmusik gab es nicht. Da hat sich doch einiges getan. Jürgen Terhag hatte wohl recht…

Sep 212012
 

„Die Leute wissen gar nicht, wie gut der Musikunterricht heute ist. Das ist nicht mehr das, was unsere Generation noch in Erinnerung hat.“ Jürgen Terhag, seit gestern Ex-Vorsitzender und neuer Ehrenvorsitzender des AfS, lässt mir den Stein vom Herzen fallen, der dort seit meinem eigenen Schulmusikunterricht ruhte. Aber eigentlich weiß ich das natürlich schon, weil ich seit langem musikpädagogische Veranstaltungen begleiten darf. – Jürgen Terhag also bringt die gute Nachricht. Sein Nachfolger Michael Papst-Krüger hat die schlechten im Gepäck.

Kogressbild. Foto: Haack

Kogressbild. Foto: Haack

Neben dem – immer wiederholenswerten – Bekannten, unter anderem dies (was ich noch nicht wusste): Nicht Lehrermangel ist der Grund für die vielen ausfallenden Musikstunden in der Schule. Vielmehr werden auch ausgebildete Schulmusiker nur noch wenig (oder gar nicht) im Fach Musik eingesetzt, sondern verstärkt in ihrem zweiten Fach – oder (und das kann ich wirklich nicht glauben!) – fachfremd. Was das nicht gerade das Problem des Musikunterrichts? Jetzt unterrichtet also der Musiklehrer Mathematik, der Sportlehrer Musik und der Mathematiklehrer? Wahrscheinlich Mathematik (ist ja ein MINT-Fach).
Na ja, es gab auch noch eine schöne Botschaft – beim Empfang des Weimarer Oberbürgermeisters: VDS und AfS arbeiten intensiv an der Fusion. Das wussten wir natürlich schon, aber es wurde noch nie so schön untermauert wie hier vom VDS-Vorsitzenden Ortwin Nimczik, der – bezugnehmend auf das Schillerzimmer im wunderschönen Weimarer Rathaus ein Zitat des Wahl-Weimarers aus der „Huldigung der Künste“ benutzte: „Denn aus der Kräfte schön vereintem Streben ergibt sich wirkend erst das wahre Leben.“ Das „wahre Leben“ meint in diesem Fall: die „große Bühne“ für das Thema Schulmusik. Nach meinen ersten Kongresseindrücken finde ich: Man ist hier auf einem guten Weg.